In den letzten beiden Wochen sind wir – Dagmar, Michael H. und Michael P. – reich beschenkt worden: mit Offenheit und Nahbarkeit, Vertrauen und Elan, Humor und unerschöpflicher Auskunftsfreude unserer beiden neuen Freunde Alfred und Wayne.

Alfred gehört zum Volk der Kamilaroi und lebt im Norden von New South Wales. Der Kontakt zu ihm kam auf ebenso mysteriöse wie einfache Art zustande. Und es glich einer Visionssuche, uns ohne wirkliche Ahnung, was uns begegenen würde, im Mietwagen auf den Weg zu machen. In der Nacht vor dem Treffen – im Zelt unbequem, schlaflos schwitzend, mit Kopfschmerz ringend und unwohl im eigenen Körper – zerbricht in mir der letzte Rest Australien-Romantik mit einem Knall. Es fühlt sich an wie Aufschlagen am Boden. Was tue ich eigentlich hier? Bringt das überhaupt was? Mein Nervensystem ist von was auch immer erschüttert. Ich habe eine grobe Ahnung, dass es unter anderem mit der Energie des Landes zu tun hat. Und ziemlich wenig Ahnung, wie damit umgehen.

Das bleibt erst einmal so, als Alfred zu uns stößt. Seinem Reden, dem Einblick in die Mythologie und ihrer Verbindung zu Land zu folgen, fordert alles heraus, was an Englisch, Durchblick beim australischen Slang und schnellem Kombinieren im Kasten ist. Und noch am ersten Tag gibt mein Kasten sich geschlagen. Ich lerne, die Worte zu hören, ohne an ihnen zu hängen, sie verstehen und verarbeiten zu müssen. Ich übe, mehr der Melodie zu folgen und dem energetischen und emotionalen Körper zu vertrauen. Sie werden das mitnehmen, was für mich dran ist mitzunehmen. Wohlbefinden kehrt zurück und es stellt sich pure Freude ein, am Miteinander-Sein, am Nicht-Verstehen-Müssen und umso mehr Begreifen. Es gibt nichts aufzuschreiben oder zu analysieren in der zunehmenden Klarheit, dass gerade Initiation stattfindet. „Wenn du nach Hause fährst, wirst du dein Lied kriegen,“ so Alfreds Prophezeiung. Immer wieder aufs Neue staune ich darüber, wie er dem Drama fern bleibt, wenn er vom Umgang der Weißen mit den Aborigines erzählt. Ohne Groll. Da ist eine Verankerung in größeren Ganzen zu spüren, die ich von nur wenigen Menschen kenne. Indem er uns an seinem Wissen teilhaben lässt, öffnet er Raum für Heilung und Verbundenheit über Kontinente und Kulturen hinweg. Was die Verbindung am meisten stärkt, ist, gemeinsam Natur zu erleben. So stehen wir zur Tagundnachtgleiche auf dem Gipfel des Mount Kaputar – 360 Grad Rundblick – und teilen in Stille die Erfahrung des Sonnenuntergangs und Vollmondaufgangs. Die Minuten sind Tore in die Zeitlosigkeit.

Eine Woche später wandern wir im kühlen Herbst-Sturm über die Halbinsel Wilson’s Promontory. Bei uns ist Wayne vom Volk der Gunnai in Victoria – auch er eine Quelle von Weisheit, Wissen, Erdverbundenheit, Liebe und Freundschaft. In Zeremonie zu sein besteht bei diesem Treffen im bewusst geteilten Jetzt, in der Achtsamkeit, dem großzügigen Zuhören und Teilen. Wir lernen viel über den australischen Busch und die darin enthaltenen Schätze.
Dafür braucht es keine Feder im Haar, keinen Tanz ums Feuer, keine Bemalung. Wir haben uns per Smartphone verabredet, sind mit Navi angereist und essen abends Pizza…

Das Miteinander hat etwas sehr Natürliches, während wir uns gleichzeitig des Privilegs bewusst sind, das wir genießen. Waynes Neffe wird der erst indigene Australier sein, der bald am Expand The Box teilnimmt. Waynes selbst ist aktiv an der Initiation junger Männer beteiligt, die der traditionellen Form folgt und gleichzeitig zeitgemäß ist. Wir verfolgen dieselbe Absicht, Menschen zu ermächtigen, ihr Potenzial zu leben und gleichzeitig verantwortlich zum großen Ganzen beizutragen. Die Verschiedenheit ist inspirierend, die Gemeinsamkeit bestärkend und nährend. Nun integrieren wir das Erlebte, veränderte „Landkarten“ kommen durch und wir freuen uns, bald ins Expand The Box einzutauchen. Die Botschaft der Indigenen wird uns dabei begleiten.