Ich sitze in einem Haus auf einer Lichtung mitten im Busch. Der nächste Nachbar ist ca. 700 m weit entfernt – und das im vermutlich am dichtesten besiedelten Bundesstaat Australiens. Draußen wechseln sich Sonnenschein und Regen ab. Endlich Regen! Seit zwei Tagen ist die Buschbrandgefahr auch in dieser Gegend endlich „down“. Zeitgleich sind wir zum letzten Mal auf dieser Reise umgezogen. Unser Gastgeber ist ein sympathischer Enddreißiger, der gerade im Ofen Feuer macht, während ich das schreibe. Wer die Umgebung von Haus und Garten nur ein bisschen aufmerksam betrachtet, sieht schwarze Baumstämme. Zwischen ihnen wildes Grün in vielen Schattierungen und schlanke junge Bäume. Gleich zu Anfang unserer Begegnung wollte ich wissen, von welchem Feuer die Spuren stammen. Ich stellte die Frage interessiert und unbefangen. Die Antwort: „2009“.


In den weiten Raum des Zuhörens hinein enthüllte A. dann ein Familienschicksal. Dem zu lauschen war berührend und ernüchternd. 22 Menschen einer Gemeinde von ca. 180 Personen kamen damals um bzw. nahmen sich im Nachgang zum Verlust von Haus und Habe selbst das Leben. Die Diskrepanz zwischen Fernsehmeldungen, Zeitungsschlagzeilen und dem Raumhalten für das persönliche Erlebnis eines Menschen, mit dem ich zu tun habe, könnte ich nicht größer erleben als hier. Drei Familienmitglieder verloren, das Elternhaus zerstört, der Garten eine Aschewüste. „Ich möchte nirgendwo anders als hier im Busch leben.“ In einem alten Wohnwagen hat er neu begonnen. Heute steht hier ein so einfaches wie schönes Haus. Dort ist ein Flügel für Gäste reserviert. Auf diese Weise kommt er in Kontakt mit der Welt, die zu bereisen in einer fernen Zukunft liegt, da alle Mittel in den Wiederaufbau gesteckt werden. Seit einem Jahr, so meint er, habe er es aus seinem persönlichen Loch geschafft. „Wir hier draußen sorgen dafür, dass Feuer nicht ins Ballungsgebiet gelangen. Dort würde es viel mehr Menschen betreffen als bei uns.“
Wenn er nicht zuhause wirkt, unterrichtet A. mit Leidenschaft Musik an einer Schule. Dort hat er von Nichts kommend ein erfolgreiches Programm aufgebaut. Es verhilft immer mehr Kindern zu künstlerischem Selbstausdruck und unterstützt ihr Gehirn in der Entfaltung jenseits von Faktenwissen.
Seine liebste eigene Komposition schrieb er hier an einem Tag, an dem er von morgens bis abends dem Busch lauschte. Ich hoffe, dass ich es vor unserer Abreise noch zu hören bekomme, als einem Zeugnis, wie jemand für sich Realitäten wandeln kann. „Feuer gehören zur Natur hier. In den heißesten Monaten vermiete ich nicht an Fremde. Das Risiko ist zu groß.“ Wir sind die zweiten Gäste im Jahr 2019. Im Februar war der zehnte Jahrestag…
Vor dem Fenster tummeln sich kleine Papageien. Ich bin dankbar, dass unser Weg uns hierher geführt hat. Ich lerne gern von Menschen, die wirklich Ahnung vom Leben haben.